CHARLIE MARIANO VERSTORBEN
„So sehen Wissende aus“, hat sein Kollege und Freund Michael Naura einmal über den gebürtigen Amerikaner geschrieben, dem die Kultiviertheit der Ostküste angeboren war. Den Jazz-Saxophonisten konnte man allerdings auch für einen Europäer halten, nach all den Jahrzehnten, die er seit 1971 diesseits des Atlantiks verbracht hat.
Geboren 1923 in Boston, bewanderte der Musiker mit einer Vorliebe für Sopran- und Alt-Saxophon zunächst den steinigen Lehrpfad durch die Bigbands von Stan Kenton, Dizzy Gillespie, Shelly Manne, Charles Mingus und anderen, bevor er 1960 seine erste eigene Gruppe formierte. Ende der sechziger Jahre begab er sich auf ausgedehnte Reisen durch Indien und Fernost, wo er unter anderem studierte, wie das Nagaswaram gespielt wird, eine kehlig-trötende Verwandte der Oboe, die erst bei großer Virtuosität gut zu klingen beginnt. Daraus resultierte seine Mitwirkung in der Fusion- Band Embryo, in die er Elemente der indischen Musik einfließen ließ. Auch Jasper van’t Hofs Pork Pie-Projekt profitierte stark von Marianos weltmusikalischer Antenne. Von da an sollte er immer wieder kulturelle Grenzgänge unternehmen, indem er sich mit dem argentinischen Akkordeonspieler Dino Saluzzi oder mit Rabih Abou- Khalil zusammentat. Er war beliebt als Duo-Partner wegen seines lyrischen Spiels, das nie langweilig oder gemächlich wirkte, sondern wie die Ausmalung eines eingekapselten Dramas.
Schließlich wurde Mariano auch Mitglied des United Jazz & Rock Ensembles und war dort für die leiseren, demütigen Töne verantwortlich, wenn man überhaupt verantwortlich sein kann für etwas, das mit Händen nicht zu greifen ist und sich verflüchtigt wie eine melancholische Trübung des Gemüts.
Dass er auch bei Popmusikern wie Herbert Grönemeyer und Konstantin Wecker spielte, ist eine Fußnote, gemessen an den geschätzten 300 Platten, auf denen er zu hören ist, etliche davon unter eigenem Namen veröffentlicht. Am Dienstag starb Mariano in seiner Kölner Wahlheimat an einem Krebsleiden. Er wurde 85 Jahre alt.
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